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Interview Omer Fast

Was hat Dich an Tom McCarthys Roman interessiert? Es ist ein tolles Buch. Ich denke, es erzählt auf unterschiedliche Art und Weise über Themen, die mich sehr interessieren und die ich in anderen Arbeiten thematisiert habe. Der Protagonist hat einen traumatischen Unfall, der ihn als unbeschriebenes Blatt zurücklässt und ihn in die fürchterliche Lage bringt, sich in der Welt neu vernetzen zu müssen. An diesem Moment und seinen Konsequenzen war ich besonders interessiert, an dem Vakuum, das sich möglicherweise nach einem solchen traumatischen Ereignis auftut: Das als Möglichkeit zu begreifen, unsere normalen Beziehungen zur Gesellschaft zu erkunden und diese Beziehungen im Moment ihrer möglichen Veränderung zu überdenken.

Der Weg der Hauptfigur, seine Identität wiederzuentdecken und Anschluss an die Gesellschaft zu finden, ist ziemlich ungewöhnlich. Er wählt den Weg der Selbst-Therapie und Reha. Zweifellos schafft es die Medizin, ihn körperlich wiederherzustellen, aber es gelingt ihr nicht, ihn wieder an das Leben als menschliches Wesen heranzuführen. Worauf er sich einlässt, ist ein sehr eigenwilliger Prozess der Neudefinition seiner Beziehung zur Welt, zu der Zeit und den Menschen um ihn herum. Ich denke, das geht einher mit dem künstlerischen Prozess – einem Prozess, durch den wir Sprache, soziale Grundsätze, Beziehungen, wer wir sind, was wir machen und wohin wir gehen, in Frage stellen. Er ist in eine Welt zurückgekehrt, die er nicht vollständig erfassen oder wiedererkennen kann, und so muss er wieder ganz von vorn beginnen und eine Position darin finden. Darum geht es in dem Film. Und er tut es auf sehr altmodische Weise. Er geht nicht nach Hause und googelt sich, er erschafft sich nicht in den Sozialen Medien als Avatar neu. Nach seinem Unfall ist er ziemlich untechnologisch: nicht vernetzt, abgeschnitten von Technik und dem Internet. Er konzentriert sich auf reale Räume und echte Körper im klassischen, fast romantischen Sinn. Die Konsequenzen, die seine Wünsche und Taten auf diese Körper und Räume haben, sind der eigentliche Gegenstand der Handlung.

Er macht sich daran seine bruchstückhaften Erinnerungen nachzustellen. Aber die Erinnerung ist so eine zerbrechliche, wandelbare Sache. Auf jeden Fall. Diese Figur spannt Personen und Orte ein, um die Vergangenheit zu rekonstruieren, und je fokussierter und besessener er in diesem Greifen nach der Vergangenheit wird, desto unerreichbarer wird diese Vergangenheit. Am Ende ist es nicht einmal die Vergangenheit, die er rekonstruiert, sondern seine Gegenwart. Wenn es eine poetische Dimension in seinem Handeln gibt, dann ist es die Unerreichbarkeit der eigenen Vergangenheit und des eigenen Gedächtnisses, wie unbeständig und ungreifbar beide sind.

Das Buch ist sehr auf das Innere fokussiert. Wie sind Sie mit der Herausforderung der Adaption umgegangen? Der Roman hat eine sehr eigene Hand-schrift. Wir sind viel im Kopf des Protagonisten, und er ist sehr gesprächig. Ich habe mich schnell entschieden, keinen Voice-Over-Film zu machen, so dass es immer sehr wichtig war, den ständigen inneren Monolog der Hauptfigur nach außen offenzulegen. Es geht vor allen Dingen um sein Handeln. Und Ausstattung spielt eine große Rolle. Er wird zurückgeworfen in eine Umgebung, die für ihn desillusionierend, unbefriedigend und unvollständig ist. Er beschließt, diese Umgebung zu erweitern, sie buchstäblich umzuformen, in was auch immer ihm seine Erinnerung, seine Launen und Impulse eingeben.

Wie wichtig war Ihr Hintergrund als Videokünstler bei der Arbeit an Remainder? Meine Arbeit ist oft sehr dokumentarisch orientiert, oder vom Dokumentarfilm angestoßen. Ich glaube, dass für mich die Vorstellung sehr wichtig ist, dass die Handlungen der Figuren impulsiv sind und in einem bestimmten Raum stattfinden, und dass die Konsequenzen dieser Handlungen sehr relevant sind. Wir sehen die Menschen, die aus dem Gebäude ziehen, als er es kauft, es entkernt und entscheidet, Elemente seiner möglichen Kindheit nachzustellen. Es gibt da einen Subtext, der sich auf die größere Thematik der Gentrifizierung bezieht. Gleichzeitig war ich der Auffassung, dass die Geschichte eine poetische Ebene behalten müsse, die eine einfache, lineare Erzählweise so nicht erfüllen kann. Das kann zum Teil vielleicht etwas bruchstückhaft erscheinen, aber für mich ist das der posttraumatische Zustand, den wir beschreiben, in dem das Leben sich einfach nicht mehr so problemlos zusammenfügen lässt.

Der abendfüllende Spielfilm ist ein neues Gebiet für Sie, haben Sie sich auf bestimmte Einflüsse bezogen? Der Hauptunterschied zwischen dem Roman und dem Film ist die übergreifende Handlungsstruktur. Tom McCarthys Roman ist linearer als der Film. Ich wollte die Handlung formal als Acht aufbauen, was sogar am Ende des Romans angedeutet wird, als der Protagonist einen Jet anfordert und ihn in Kreisen fliegen lässt. Ich glaube, ein unübersehbarer Bezug hierfür ist Chris Markers La Jetée und seine Gedanken über zeitliche Aspekte der Handlung sowie Motivation im Angesicht einer kreisförmigen Erzählung. Ein anderer Film, an den ich dachte, ist ein weiterer französischer Klassiker, Pickpocket von Robert Bresson. Ich bat Tom Sturridge ihn anzusehen, da es in Pickpocket auch um einen Protagonisten geht, der auf seine eigene Art wieder Anschluss an die Gesellschaft zu finden versucht, indem er gegen die normale Interaktion mit den Anderen verstößt, um – und hierüber ließe sich sicher diskutieren – ein poetischeres Verständnis der Dinge zu erreichen. Dies empfand ich immer als schönen Verweis. Wenn da irgendwas in Remainder ist, das dem auch nur ansatzweise nahe kommt, wäre ich sehr glücklich. Und das Nachstellen der Bankraubszene ist inspiriert von Pierre Huyghes Third Memory. Wäre es möglich gewesen, diese wundervolle Arbeit einfach in den Film zu integrieren, hätte uns das beinahe die Hälfte unseres mageren Budgets gespart.

Warum haben Sie sich für Tom Sturridge als Hauptdarsteller entschieden? Ich war einfach begeistert von seiner Präsenz, seinem Charisma, seinem Auftreten. Es war eine sehr intuitive Entscheidung, was bei mir nicht so oft vorkommt. Solche Entscheidungen sind kostbar, und ich muss mich an sie halten.

Wenn Toms Figur Szenen aus seiner Erinnerung darstellt, dann inszeniert er gewissermaßen. War das ein persönlicher Berührungspunkt für Sie? Die Figur wird, ohne es zu wissen, ein Produzent von Aufführungen – ein Künstler, könnte man sagen. Einige seiner Aussagen sind unklar, und die Darsteller wissen nicht immer, was sie mit seiner Inszenierung anfangen sollen – das ist für mich auf jeden Fall eine Situation, die mir gut vertraut ist.